Oft bekomme ich von Journalisten, Forschern und Startup-Interessierten aus der ganzen Welt die Frage gestellt, welches das erfolgreichste Startup in Leipzig oder gleich in ganz Deutschland ist.
Die Antwort auf diese Frage fällt nicht nur aufgrund der Schwierigkeit „Erfolg“ zu definieren oder zu messen schwer, sondern vielmehr auch weil der Begriff des Startups so unterschiedlich verwendet und verstanden werden kann.
Zwar redet aktuell in Medien und Wirtschaft jeder gern von Startups, doch eine allgemeingültige und breit akzeptierte Definition fehlt.
Die Probleme fehlender Definitionen will ich anhand ein paar praktischer Beispiele und Anekdoten aus meinem Berufsleben kurz zeigen. Je nach Definition des Startup-Begriffs sitzt jedoch eines der erfolgreichsten Startups Deutschlands in Leipzig.
Es bricht mit bestehenden Regeln und wächst seit wenigen Jahren kontinuierlich stark. Gegründet 2009 als Verein und seit 2014 als RasenBallsport Leipzig GmbH eingetragen, ist der RB Leipzig der erfolgreichste Aufsteiger aller Zeiten im Milliardenmarkt Profi-Fussball.
Auch Liga-Konkurrenten bezeichnen RB Leipzig als Startup. Doch ist RB Leipzig tatsächlich ein Startup?
Dazu will ich mir ein paar der unterschiedlichen Definitionsansätze des Begriffs Startup etwas genauer ansehen. Der Deutsche Startup Monitor definiert Startups in seiner Studie wie folgt:
Der Definition des Deutschen Startup Monitor folgend, könnte man RB Leipzig tatsächlich als Startup definieren. Eine alternative Definition, welche vor allem im angelsächsischen Raum verwendet wird, stammt von Eric Ries:
"Ein Startup is a human institution designed to create a new product or service under conditions of extreme uncertainty."
Dass es sich bei RB Leipzig um ein neues Produkt/eine neue Marke handelt kann man durchaus bestätigen und genau das wird ja von vielen Fussballfans anderer Vereine kritisiert.
Auch das Risiko des Scheiterns war im Startjahr 2009 sehr groß, denn unklar war ob sich eine aktive Fan- und Kundenszene finden würde und ob sich sportlicher Erfolg einstellt.
Damit könnte man RB Leipzig auch gemäß dieser Definition als Startup bezeichnen.
Y Combinator Mitgründer und Silicon Valley Veteran Paul Graham reduziert Startups sogar komplett auf Wachstum:
"A startup is a company designed to grow fast. Being newly founded does not in itself make a company a startup. Nor is it necessary for a startup to work on technology, or take venture funding, or have some sort of "exit." The only essential thing is growth.“
Wie zuvor erläutert wäre RB Leipzig mit dem Wachstum der vergangenen paar Jahre ein Paradebeispiel eines Startups in diesem Sinne.
Allein die Entwicklung der Kundenzahl, beispielhaft gemessen anhand der durchschnittlichen Zuschauerzahl im Stadion, stieg seit Gründung von 2.150 auf 41.639 pro Spiel.
Lediglich wenn man den Startup-Begriff in direkten Bezug zur Verwendung neuer Technologien stellt, wie es etwa die US Small Business Administration macht, fällt die Zuordnung von RB Leipzig als Startup strittig aus:
“The term startup is also associated with a business that is typically technology oriented and has high growth potential. Startups have some unique struggles, especially in regard to financing.”
Zwar ist RB Leipzig kein Technologieunternehmen, wächst aber dennoch stark. Sogar das Merkmal eines externen, renditeorientierten Investors ist mit dem Getränkekonzern Red Bull des Österreichers Dieter Mateschitz erfüllt und treibt die Sorgenfalten auf die Stirn von Fussball-Traditionalisten.
Immerhin zwei Drittel der Kernelemente dieser Definition sind damit auch erfüllt.
Damit wäre tatsächlich eines der aktuell erfolgreichsten Startups Deutschlands im schönen Leipzig angesiedelt. Doch ist RB Leipzig wirklich das Unternehmen welches wir uns vorstellen, wenn wir von „Startups“ sprechen?
Bei mir bleibt jedenfalls ein mulmiges Gefühl bestehen und ich würde beim Begriff Startup nicht unmittelbar an RB Leipzig denken. Doch warum ist es überhaupt relevant was ein Startup ist und was nicht?
Die Antwort ist recht einfach: viele Forscher, Journalisten und Politiker beschäftigen sich heute mit Startups und sogar in TV-Sendungen springen zur Prime-Time Startup-Gründer im Fernsehen herum und verbreiten die dargestellte Auffassung von Startups.
Doch besteht nicht die Gefahr, dass wir bei unklaren Begrifflichkeiten falsche Schlussfolgerungen ziehen? So könnten doch insbesondere bei der politischen Gestaltung von Gesetzen und Förderprogramme falsche Definitionen zu Ineffizienzen und Fehlentscheidungen führen?
Können schwammige Definitionen in der Wissenschaft nicht dazu führen, dass falsche Erkenntnisse und Schlussfolgerungen gezogen werden?
Verbreiten Medien nicht möglicherweise falsche Informationen, wenn sie sich nicht ausreichend mit dem Begriff auseinandersetzen?
Das Beispiel eines Gesprächs mit einer Journalistin eines wichtigen deutschen Wirtschaftsmagazin im SpinLab verdeutlicht dies: auf die Frage wieviele Startups es wohl in Leipzig gäbe, antwortete ich etwas bescheiden „rund 100“.
Sichtlich irritiert sah die Reporterin bereits ihren Artikel über die aufstrebende Startup-Szene der Stadt in Gefahr, erschien ihr doch die Zahl im Vergleich zur ihr erst neulich genannten Zahl von 5000-7000 Startups in Berlin geradezu mickrig.
War der Artikel gar überflüssig? Doch als ich auch ihr das Beispiel von RB Leipzig gab, begann Sie das Problem der Reduktion auf Zahlen und allzu kurze Fakten zu verstehen. Sicher gibt es in der Hauptstadt Berlin ein Vielfaches der Startups in Leipzig, aber wahrscheinlich liegen beiden Zahlen auch unterschiedliche Auffassungen zugrunde.
Die Realität von Startups bzw. jungen Unternehmen ist zu komplex um eine einfache, allgemeingültige Definition zu geben. Schon allein die Übersetzung des englischen Begriffs Startup ins Deutsche fällt uns so schwer, dass wir doch meist gleich beim englischen Begriff bleiben.
Verwendet man den Begriff „Startup“ also allzu locker im falschen Kontext in Politik, Medien und Forschung könnten falsche Assoziationen und unterschiedliche Verständnisse des Begriffs zu ungewollten Folgen führen.
Auch Startup-Initiativen wie Startup-Wettbewerbe, Acceleratoren, Verbände oder Rankings adressieren womöglich ungewollte Unternehmen. In der Realität können junge Unternehmen auf vielfältige Weise entstehen, wie einige exemplarisch herangezogene Grenzfälle zeigen sollen:
Viele der zuvor genannten Beispiele zeigen, dass Startup nicht gleich Startup ist.
Wir müssen akzeptieren, dass wir allenfalls eine grobe Vorstellung vom wirklich gemeinten Unternehmen haben, wenn uns jemand etwas über Startups erzählt oder man eine Studie dazu liest.
Überraschend große oder kleine Zahlen und unerwartete Fakten sollte man erst bestaunen, wenn man genauer weiss wie sie zustande gekommen sind. Umso wichtiger ist es, bei der Verwendung des Begriffs in Studien, wissenschaftlichen Arbeiten, journalistischen Berichten und politischen Initiativen genau zu definieren, was man selbst unter dem Begriff versteht. Wird dies nicht genauer gesagt, sollte man im Zweifel nachfragen.
Auch eine Unterscheidung zwischen Startups und Digitalunternehmen wie IT-Agenturen oder ehemalige Startups älter als zehn Jahre erscheint sinnvoll. Auf jeden Fall sollte man bewusst damit umgehen, dass der Begriff schwammig ist und Unternehmen auch nach der Gründung noch zum Startup werden können und nicht jedes Unternehmen, was wir heute als Startup bezeichnen, in naher Zukunft auch noch ein Startup ist – je nach Definition halt.